ROTERSAND – Don’t Become The Thing You Hated
Rezension von Tanja
Es gibt Bands, bei denen man schon nach den ersten Sekunden weiß: Das hier ist mehr als Musik – das ist eine Haltung. Rotersand gehören genau in diese Kategorie. Seit den frühen 2000ern mischt das Duo aus Rascal Nikov und Krischan Jan-Eric Wesenberg Dark Electro, Futurepop und Industrial-Elemente zu einem eigenen Klangkosmos, der gleichzeitig clubtauglich und gedanklich anregend ist. Mit Don’t Become The Thing You Hated kehren sie nun zurück – und das nicht einfach als nächste Sammlung von Tracks, sondern als musikalisches Manifest über die Gefahren unserer Zeit: Wie leicht man, im Kampf gegen das Falsche, selbst in dessen Schatten tritt.
Das Album eröffnet mit „All Tomorrows“ – zart und beinahe zerbrechlich mit Piano und Rascals unverwechselbarer Stimme, bevor sich das Stück Schicht für Schicht öffnet. Die Melancholie im Text („all the sorrows that we had… we played the game until we lost“) bekommt durch den stetigen Aufbau eine enorme emotionale Wucht. Es ist wie ein Blick in den Spiegel der eigenen Verluste – und gleichzeitig der erste Schritt ins Herz des Albums.
Dann dreht „Higher Ground“ das Tempo nach oben und setzt den ersten klaren Club-Akzent. Ein Leadsound, der sich unauslöschlich einbrennt, und Lyrics, die von Mitgefühl und innerer Stärke handeln. Zwischen den treibenden Beats gibt es ruhige Passagen, in denen Rascals Stimme noch intensiver wirkt – als würde er dir ins Ohr flüstern, dass es sich lohnt, den besseren Weg zu suchen.
„Father Ocean“ kommt als mächtige Hymne, fast tranceartig in seinen epischen Leads. Inhaltlich eine bittere Liebeserklärung an das Meer – schön und kraftvoll, aber verletzt von menschlicher Gier. Hier verbinden sich Naturthema und Tanzflächenenergie perfekt: ein Track, der Gänsehaut und Bewegung gleichzeitig erzwingt.
Mit „Watch Me“ ziehen dunklere Wolken auf. Eine EBM-nahe Bassline und treibende Synths tragen einen Song, der aggressiver und fordernder wirkt. Es ist, als stünde jemand im Raum, der dir nicht aus den Augen lässt – verführerisch und bedrohlich zugleich.
„I Will Find You“ bricht diesen Druck auf und taucht in sanftere Synthpop-Gewässer. Der Song ist wie ein musikalisches Versprechen, getragen von einer eingängigen Hook, die Hoffnung und Wärme ausstrahlt. Hier zeigen Rotersand ihre balladeske Seite, ohne in Kitsch zu verfallen.
Mit „Don’t Stop Believing“ (nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Journey-Klassiker) steigt die Energie wieder. Der Beat ist belebend, die Botschaft glasklar: Nicht aufgeben, egal wie dunkel es wird. Ein Mutmacher im Synthpop-Gewand.
„Heaven“ ist ein Highlight für alle, die melodische Tiefe schätzen. Ruhiger, getragen, und mit einer Hook, die mich unweigerlich an die besten Depeche Mode-Momente erinnert – und ja, das ist als Kompliment gemeint. Hier entfaltet Rascals Stimme ihre ganze emotionale Spannweite.
„Sexiness of Slow“ ist ein langsamer, sinnlicher Club-Burner – dicke Beats, verführerische Synthflächen, ein Track, der Spannung aufbaut und diese nicht zu schnell entlädt. Man muss ihn mehrfach hören, um seine ganze Wirkung zu verstehen.
„Private Firmament (I Fell for You)“ schlägt härtere Töne an, mit einer Bassline, die ein bisschen an KLF erinnert. Der Text kreist um Ego, Täuschung und das Verfangen im eigenen Mikrokosmos – tanzbar, aber mit spürbarer Schärfe.
Mit „16 Devils (Hell Deep Down)“ wird es düster und mystisch. Coole Percussion-Elemente und ein Text, der fast wie ein Mantra wirkt, lassen den Song wie einen rituellen Tanz erscheinen – hypnotisch und bedrohlich.
„Click Scroll Tap Believe“ spielt mit digitalen Referenzen und erinnert in Teilen an Kraftwerk – minimalistisch im Aufbau, aber mit einer unterschwelligen Warnung vor Technologiegläubigkeit und Kontrollverlust.
Das vorletzte Stück, „Forgotten Daydreams (They Live at Night)“, ist wie ein Blick in eine verstaubte Schublade voller Erinnerungen. Bereits 2023 veröffentlicht, bekommt es hier im neuen Mix eine zusätzliche Klarheit und Weite – melancholisch, schwebend, wunderschön.
Und dann endet das Album – nicht mit einem Knall, sondern mit einem Gefühl, das nachhallt: Don’t Become The Thing You Hated ist nicht einfach eine Playlist für den Club. Es ist ein Statement. Ein Aufruf zur Selbstreflexion. Und gleichzeitig ein Beweis dafür, dass man Tiefe, Tanzbarkeit und Haltung in einem Werk vereinen kann.
Fazit:
Rotersand haben ein Album geschaffen, das auf mehreren Ebenen funktioniert – vom Clubhit bis zur leisen Ballade, vom politischen Unterton bis zur persönlichen Emotion. Es ist ein Werk, das man am Stück hören sollte, weil es eine Reise ist. Eine Reise durch Beats, Gedanken und Gefühle, die noch lange nach dem letzten Ton nachwirkt.
Tanja empfiehlt: Father Ocean, Watch Me, I don´t stop believing